Suchmaschinen-Gesetzgebung und die Frage der Ausdrucksfreiheit. Eine europäische Perspektive

Suchmaschinen gehören zu den wichtigsten Diensten im Internet und sind für die Navigation des Web unverzichtbar. Sie sind ein unabdinglicher Bestandteil des Versprechens einer Demokratisierung des Informationszugangs durch das Internet. Gesetze und Politik zu Suchmaschinen sollten diesem Umstand Rechnung tragen, indem sie die Ausdrucksfreiheit in den Mittelpunkt von rechtlichen und politischen Entscheidungen über Web-Suchmaschinen rücken. Leider sind die europäischen Gesetzgeber nicht auf dem letzten Stand, wenn es um eine solche Förderung der Suchmaschinenlandschaft geht.

van Hoboken Joris

Einleitung1

Eine typische Darstellung der Herausforderungen der Ausdrucksfreiheit im Zusammenhang mit Suchmaschinen beginnt mit einer Diskussion der Internet- Zensur in China und in anderen Ländern, die keine Tradition der Ausdrucksfreiheit und einer freien Presse haben. Daher ist die Unterdrückung von Suchergebnissen durch globale Suchmaschinenanbieter in China gut dokumentiert2 und Gegenstand breiter medialer Aufmerksamkeit.3 Im europäischen Kontext ist die Debatte über die Implikationen der Ausdrucksfreiheit für gesetzliche Regelungen und Politiken im Zusammenhang mit Suchmaschinen dagegen weit weniger entwickelt. Dies ist bedauerlich, denn es gibt eine Reihe von Problemen, die eine solche Debatte rechtfertigen würden. Bevor ich diese Probleme im Einzelnen behandle, erscheint es nützlich, einige Beispiele voranzustellen.

In den vergangenen zwei Jahren hat der argentinische Anwalt Martin Leguizamon Gerichtsbeschlüsse erwirkt, die es über hundert Menschen ermöglichten, Suchergebnisse von Google und Yahoo entfernen zu lassen.4 Einige der Gerichtsbeschlüsse bezogen sich auf Suchergebnisse zu öffentlichen Funktionären. Doch wenn Demokratie und Ausdrucksfreiheit irgendetwas bedeuten sollen, dann ist wohl die Möglichkeit, sich über öffentliche Funktionäre zu informieren, eine Voraussetzung dafür. Google hat deshalb seine ablehnende Haltung gegenüber den argentinischen Gesetzen öffentlich kundgetan und gegen die Gerichtsbescheide Berufung eingelegt.5 Interessant ist in diesem Fall, dass Google dabei auf den Schutz Bezug nimmt, den es in Europa genießt. Doch leider ist diese Bezugnahme falsch. In den meisten europäischen Ländern erhalten Suchmaschinenanbieter keinen klaren gesetzlichen Schutz gegen Forderungen, aus den Suchergebnissen entfernt zu werden, und sie kämpfen mit ähnlichen Problemen wie in Argentinien.

Im Jahr 2008 wurde Google Deutschland erfolgreich von einem Künstler und einem Photographen geklagt, da es Thumbnails ihrer Werke in der Bildersuche gezeigt hatte.6 Die Bilder waren mit der Zustimmung des Autors online veröffentlicht worden, das Hamburger Gericht entschied jedoch, dass daraus nicht folgt, dass Google sie in seine Bildersuchfunktion aufnehmen darf. Die Möglichkeit für Webmaster, Material mit Hilfe von robots.txt-Anweisungen aus den Suchmaschinen auszuklammern, war dem Hamburger Gericht zufolge ebenso irrelevant. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass Suchmaschinen die Zustimmung durch die Urheberrechts-Inhaber angeben müssen; tun sie dies nicht, dann stellen Thumbnails eine Urheberrechts-Verletzung dar. Google hat aus nahe liegenden Gründen gegen den Beschluss berufen. Hält das Urteil jedoch, dann muss Google möglicherweise seine Bildersuchfunktion in Deutschland abschalten oder neu strukturieren. Es erübrigt sich hinzuzufügen, dass davon nicht nur Google betroffen wäre, sondern auch andere Anbieter, die in Deutschland einen Bildersuchdienst in einer Weise bereitstellen, die mittlerweile zu einem Standard im Web geworden ist.

Im September 2007 forderte ein Pariser Gericht Google auf, die IP-Adressen von Nutzern seines Suchdienstes an Attractive Ltd., einen AdWords-Kunden, zu übermitteln.7 Diese Firma, die in Paris Bars und Restaurants einrichtet, erhob Einspruch gegen die Monatsrechnung, die sie von Google für Anzeigen auf der Google-Seite erhalten hatte. Eine IP-Adresse mit Zeitstempel ist der Schlüssel zur Identifizierung eines Internet-Nutzers. Obwohl u.a. die europäischen Regulierungsbehörden damit begonnen haben, Suchmaschinenanbietern im Zusammenhang mit deren systematischen Nutzerüberwachung auf die Finger zu sehen, ist es wahrscheinlich, dass die Anbieter auch weiterhin detaillierte, nicht anonyme Datensätze auf längere Zeit speichern. Diese Information ist nicht nur den Anbietern selbst zugänglich, sondern je nach Gesetzeslage auch Drittparteien, darunter Polizei- und Sicherheitsbehörden. Die Auswirkungen der Nutzerüberwachung auf den Zugang zu Information und das Nutzerverhalten sind nicht klar, doch es ist offensichtlich, dass einige Nutzer dazu übergehen könnten, sich selbst zu zensurieren, wenn es um kontroverse oder sensible Inhalte geht.

Diese drei Anekdoten illustrieren typische Probleme für die Ausdrucks- und Informationsfreiheit im Zusammenhang mit Web-Suchmaschinen. Im Folgenden werde ich diese Probleme in einer systematischen Übersicht darstellen und zeigen, dass die europäischen Suchmaschinengesetze und -politiken aus der Sicht der Ausdrucksfreiheit – die nicht nur die Freiheit des Ausdrucks, sondern auch die Freiheit der Informationssuche und des Informationsempfangs beinhaltet – alles andere als ideal sind.

Die Bedeutung von Suchmaschinen

Suchmaschinen gehören zu den dominierenden Medien im Web. Da das Web selbst über keine Suchfunktion verfügt, die über die begrenzte Navigationshilfe durch Domain-Namen hinausginge, wurde diese Lücke durch eine Reihe von Anbietern, Tools und Praktiken geschlossen.8 Parallel zum Wachstum von Internet und Web besteht ein ständig zunehmender Bedarf an Vermittlung zwischen den Informationsquellen und den Nutzern. Das Übermaß an Information hat wirksame Suchwerkzeuge äußerst wichtig und machtvoll gemacht. Als Einstiegspunkt ins Web sind allgemeine Suchmaschinen zum vorherrschenden Navigations- Tool für Internet-Endnutzer geworden. Sie gehören aber auch zu den wichtigsten Plattformen, über die Information, Wissen und Anzeigen ihr Publikum finden. Das Internet und insbesondere wirkungsvolle Such-Tools ermöglichen den Zugang zu einer nie da gewesenen Fülle an Informationen. Allerdings gibt es auch neue Möglichkeiten, diesen Zugang einzuschränken.

Druck auf Akteure, die die „Zugänglichkeit“ kontrollieren

Dass herkömmliche Interventionsstrategien zur Contentregulierung an Wirksamkeit verloren haben, wird mittlerweile weitgehend anerkannt. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich daher auf die Vermittlungsinstanzen, die den Zugang zu Content herstellen, etwa Suchmaschinen und Internetprovider. „Verfügbarkeit“ bedeutet hier, dass ein bestimmtes Material irgendwo im Internet existiert, während „Zugänglichkeit“ für die relative „Erreichbarkeit“ des verfügbaren Materials steht.9 Zu den Gründen für diese Schwerpunktverlagerung gehören die Fülle an Information, die durch leicht nutzbare und vielfältige Online-Publikationsformen entsteht, die globale Natur des Internet, die daraus resultierenden Probleme der Jurisdiktion sowie die Unausgereiftheit von Mechanismen, die das Aufspüren von illegalem Material an der Quelle ermöglichen würden.10

Internet-Dienstanbieter (Internet Service Providers, ISPs) gehören zu den vorrangigen Zielen, wenn es um die Zugänglichkeit von Inhalten geht. Ofcom ist kürzlich zu dem Schluss gekommen, dass die Selbstregulierung seitens der ISPs, die eine starke Bindung zu der für die jeweiligen Endnutzer geltenden Gesetzgebung haben, ein Schlüsselelement einer Politik darstellt, die Content- Risiken für Kinder in den Griff bekommen will.11 Die Diskussion um die Zensur eines Wikipedia-Eintrags in Großbritannien ist ebenfalls ein aufschlussreiches Beispiel. Die Internet Watch Foundation (IWF) setzte den Wikipedia-Eintrag zu einem Plattencover der Scorpions auf die Liste kinderpornografischen Materials, die von den wichtigen ISPs als schwarze Liste benutzt wird.12 Die darauf folgende Diskussion in den Medien und die verbreitete Verfügbarkeit und leichte Zugänglichkeit des betreffenden Bildes veranlasste die IWF, ihre Entscheidung rückgängig zu machen und den Wikipedia-Eintrag aus der Liste zu streichen.13 Es gibt in Europa und den USA eine Reihe von „freiwilligen“ Internet-Filtersystemen, die auf Kinderpornografie zielen. „Freiwillig“ steht unter Anführungszeichen, weil diese Systeme auf Druck der Regierungen eingeführt wurden.14 Eine neuere Entwicklung ist das Lobbying von Rechteinhabern, die sich für ein Filtern bzw. Ausschließen von Nutzern im Zusammenhang mit illegalen Tauschbörsen stark machen. Dabei darf man nicht übersehen, dass die Möglichkeiten, einen vom Provider blockierten oder gefilterten Internetzugang zu umgehen, gut dokumentiert sind, sodass derartige Maßnahmen kaum den Zugang zu blockiertem oder gefiltertem Material verhindern dürften.

Wie die ISPs, so werden auch die Suchmaschinen unter Druck gesetzt oder aufgefordert, zur Regulierung der Zugänglichkeit von Online-Information beizutragen. In den USA will der Digital Millennium Copyright Act Suchmaschinenbetreiber dazu bringen, Ergebnisse zu entfernen, wenn sie davon erfahren, dass sie zu Material verlinkt sind, das eine Copyright-Verletzung darstellt.15 Alle wichtigen Suchmaschinen der USA reagieren auf solche Mitteilungen, indem sie die Resultate global entfernen. In Europa gibt es eine Reihe von Gesetzen, die Suchmaschinen dazu verpflichten, Ergebnisse aus ihrem Index zu entfernen. In den Niederlanden wurde Zoekmp3, eine Suchmaschine für MP3-Dateien, kurzerhand für illegal erklärt, da sie Copyright-verletzendes Material zugänglich machte.16 Anstatt Zoekmp3 dazu zu benutzen, um an die Quelle der Verletzung heranzukommen, klagten die Rechteinhaber den Dienst, der das Material leichter zugänglich machte. Seit 2004 entfernen große Suchmaschinenanbieter in Frankreich und Deutschland in Zusammenarbeit mit Regierungsbehörden manche Suchergebnisse, die zu illegaler oder schädlicher Information führen, aus ihren länderspezifischen Dienstangeboten.17 Andere haben vorgeschlagen, die Schnittstelle zwischen Nutzern und Suchmaschinen in den Mittelpunkt zu rücken. Der EU-Kommissar Frattini forderte, dass Suchmaschinen bestimmte „gefährliche“ Suchanfragen unmöglich machen sollten.18 In all diesen Fällen bleibt das Material online verfügbar und mit anderen Mitteln auch zugänglich, etwa durch nicht länderspezifische Versionen der gleichen Suchmaschinen.

Ausdrucksfreiheit

Ohne ein endgültiges Urteil darüber abzugeben, ob diese Entwicklungen angemessene Antworten auf meist begründete Bedenken sind, ist es klar, dass die Theorie der Ausdrucksfreiheit Aufschluss über die Legitimität dieser Tendenz zur Unterdrückung der Zugänglichkeit von Information geben sollte. Während Zensur und Unterdrückung der Auffindbarkeit als logische Konsequenz einer Informationsumgebung gelten könnten, die nicht ganz „sauber“ gehalten werden kann, ist eben diese Auffindbarkeit eine Voraussetzung für die Ausdrucksfreiheit in einer von Informationsüberschuss gekennzeichneten Umgebung. Es ist nicht die Möglichkeit des Sprechens, die auf dem Spiel steht, sondern die Möglichkeit, gefunden zu werden; und es ist nicht die Möglichkeit, Zugang zu Information zu erhalten, um die es geht, sondern die Möglichkeit, diese Information zu lokalisieren. Dies führt zu der wichtigen Frage, was vom Recht auf Ausdrucksfreiheit eigentlich geschützt wird.

Die Ausdrucksfreiheit wird auf internationaler Ebene als Grundrecht durch UN-Verträge geschützt,19 auf regionaler Ebene durch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (ECHR)20 und auf nationaler Ebene durch Verfassungen. Nach der umfassenden Definition in Artikel 10 ECHR steht Ausdrucksfreiheit für die Freiheit, Meinungen zu haben und Informationen und Ideen ohne Störung durch Behörden und auch über Grenzen hinweg zu erhalten und abzugeben. Dahinter stehen demokratische Ideale, die Suche nach der Wahrheit und individuelle Selbstverwirklichung.21 Wichtig ist dabei, dass nicht nur die Freiheit der Rede geschützt wird, sondern auch andere Kommunikationsfreiheiten, etwa die Freiheit, Informationen und Ideen zu sammeln, zu suchen, zu senden, und auf sie zuzugreifen. Die Freiheit des Suchens wird in den UN-Verträgen explizit genannt. Die Ausdrucksfreiheit nach Artikel 10 ECHR ist nicht absolut, sondern erlaubt präzise definierte Eingriffsmöglichkeiten, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind.22 Das Recht auf Ausdrucksfreiheit ist primär ein negatives Recht, welches Privatpersonen gegen staatliche Eingriffe wie etwa die Zensur schützt. Allerdings kann die Ausdrucksfreiheit auch positive staatliche Pflichten nach sich ziehen, welche die Respektierung der Ausdrucksfreiheit gewährleisten und die Mindestvoraussetzungen für eine wirksame Ausübung dieses Rechts schaffen. Nach Artikel 10 der Europäischen Konvention ist der Staat etwa letztverantwortlich für die Gewährleistung einer pluralistischen Informationsumgebung.23

Zwei Arten von gesetzlichem Druck auf Suchmaschinen

Wenn man den Druck analysiert, der auf die Suchmaschinen in Europa ausgeübt wird, um Information zu unterdrücken, lassen sich zwei Arten unterscheiden. Es gibt einerseits einen Druck, der unmittelbar auf die Suchmaschinen ausgeübt wird und zur Unterdrückung des Zugangs zu bestimmten Informationen führen soll. Zum anderen gibt es einen eher strukturellen Druck, der von einer mangelnden Anerkennung der Bedeutung von Suchmaschinen in der Online-Informationslandschaft herrührt. Beide Arten von Druck sind aus der Sicht der Ausdrucksfreiheit problematisch. Die erste Art kann ein Anreiz für Suchmaschinenbetreiber sein, bestimmte Informationen im Web zu zensurieren oder zu verbergen, was legitime Informationsflüsse behindern kann. Die zweite Art macht es schwieriger, in Europa eine Suchmaschine zu betreiben, und verhindert die Entwicklung einer breiten Palette von Angeboten und Tools, die eine wirkungsvolle Vermittlung zwischen den Online-Informationsquellen und den Internet-Nutzern gewährleisten könnten. Haftung der Suchmaschinenbetreiber für Suchergebnisse Wenn wir uns die Frage der Zensur durch Suchmaschinen in Europa ansehen, dann zeigt sich, dass ein fortdauerndes Problem im Fehlen von klaren Regeln besteht, welche die Pflichten von Suchmaschinen im Fall von Aufforderungen zur Entfernung bestimmter Ergebnisse aus dem Index definieren.24 Eine Reihe von nationalen Gesetzen können Suchergebnisse rechtlich problematisch machen, etwa Gesetze über Copyright- und Handelsmarkenverletzungen, Privatsphäre, Verleumdung und andere Arten von illegalen Äußerungen wie Verhetzung oder Kinderpornografie. Der massive Einsatz von automatischen Webcrawlern macht es wahrscheinlich, dass eine Suchmaschine illegale Information von Drittparteien in den Index aufnimmt. Die Frage ist, was eine Suchmaschine tun soll, wenn eine Regierungsbehörde die Entfernung eines Suchergebnisses fordert,25 wenn eine TV-Moderatorin die Löschung von Ergebnissen verlangt, die auf ihre Porno-Webseiten verlinken,26 oder wenn die Scientology-Kirche fordert, dass Ergebnisse entfernt werden, die angeblich ihre Urheberrechte verletzen.27 Sollte der Betreiber diese Ergebnisse, oder manche von ihnen, verbergen, oder sollte er sich weigern, Materialien zu entfernen, solange keine gültige gerichtliche Aufforderung dazu vorliegt? Sollte er die betreffende Webseite davon informieren, dass sie aus dem Index entfernt wurde, und ihr die Möglichkeit geben, die angebliche Gesetzeswidrigkeit zu beeinspruchen und wieder in den Index aufgenommen zu werden? Sollte er den Nutzern klar machen, dass Ergebnisse entfernt wurden und aus welchem Grund dies geschehen ist?

Die Gesetzeslage für Suchmaschinen in Europa ist alles andere als eine Garantie dafür, dass Suchmaschinenbetreiber die richtigen Antworten auf diese Fragen finden. Die derzeitige Gesetzeslage und die unterschiedlichen Regeln in den jeweiligen Jurisdiktionen haben dazu geführt, dass Suchmaschinen drei verschiedene Optionen haben, wenn sie aufgefordert werden, Material zu entfernen. Sie können sich nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner richten und die Information global entfernen, wenn eine rechtliche Aufforderung zur Entfernung vorliegt. Sie können Ergebnisse aus länderspezifischen Diensten entfernen, oder sie können die Aufforderung ablehnen, solange kein entsprechendes gerichtliches Dokument vorgelegt wird. Die erste Option ist die einfachste, führt aber zur Unterdrückung legitimer Äußerungen, da sie zu breit angelegt ist und die Unterschiedlichkeit kultureller Toleranzschwellen nicht berücksichtigt. Die zweite Option ist in gewisser Hinsicht besser nuanciert, doch sie ist nicht in der Lage zu verhindern, dass Internetkundige dennoch auf die Information zugreifen, und sie führt zu einer Fragmentierung des Internet durch Vermittlungsinstanzen.28 Da die gesetzlichen Verpflichtungen unklar sind, ist die dritte Option aus der Sicht der Ausdrucksfreiheit derzeit noch die beste. Kostspielige Rechtsverfahren, Bußgeldzahlungen, ungünstige Präzedenzfälle und Regulierungsdruck machen diese Option jedoch unattraktiv.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die europäischen Gesetze in Bezug auf die Haftung von Suchmaschinenbetreibern für gesetzeswidrige Verweise die Nutzer nicht vor einer übermäßigen Unterdrückung von Suchergebnissen schützen. Darüber hinaus besteht eine ausgeprägte Intransparenz im Hinblick auf diese Praktiken. Da man von großen Suchmaschinen kaum erwarten kann, sich gründlich mit jeder eintreffenden Beschwerde auseinander zu setzen, führt die bestehende Ungewissheit mit Sicherheit zur Entfernung von legitimen Webseiten, wodurch deren Zugänglichkeit durch Endnutzer vermindert wird.29 Freilich stoßen auch Drittparteien, die in bestimmten Suchergebnissen eine Gefährdung ihrer rechtlich geschützten Interessen sehen, auf Schwierigkeiten, wenn sie verstehen wollen, unter welchen Voraussetzungen sie fordern können, dass bestimmte Informationen aus einer Suchmaschine entfernt werden. Anstatt dieses Problem aufzugreifen, haben die Europäische Kommission und die meisten europäischen Gesetzgeber die Frage der Haftung von Suchmaschinenbetreibern nahezu ein Jahrzehnt lang vor sich her geschoben.30

Rechtliche Fragen zur Grundfunktion von Suchmaschinen

Die Grundfunktionen von Suchmaschinen sind ebenfalls noch Gegenstand von Rechtsverfahren.31 Der Einsatz von Webcrawlern, die Indexerstellung und Archivierung, die Öffnung von Teilen des Index für die Nutzer, aber auch das Verlinken, stellen nach wie vor schwierige rechtliche Fragen dar. Der Grund dafür ist, dass ein großer Teil des Web aus urheberrechtlich geschützten Werken besteht, und die Grundfunktionen von Suchmaschinen Verfahren beinhalten, die einer Einschränkung durch Copyright-Gesetze unterliegen.

Vor kurzem hat die Europäische Kommission ein Green Paper veröffentlicht, welches die Legalität der Grundfunktionen von Suchmaschinen aus der Sicht des europäischen Urheberrechts behandelte.32 Dieses Green Paper bezieht sich auf Suchmaschinen als neue, erfolgreiche kommerzielle Akteure in der Online- Informationslandschaft und stellt die Frage, ob die Urheberrechtsgesetzgebung noch ein faires Gleichgewicht zwischen Rechteinhabern und diesen neuen Akteuren gewährleisten könne. Das Green Paper scheint dabei zu unterstellen, dass Suchmaschinen die entsprechenden Gesetze nicht vollständig einhalten und Gewinne auf Kosten der Rechteinhaber machen, womit der Druck, der durch bereits laufende Rechtsverfahren auf die Suchmaschinen ausgeübt wird, noch zunimmt. In einer Fußnote drückt die Kommission Skepsis gegenüber einem rechtlichen Argument aus, auf welches sich Suchmaschinenanbieter bezogen, um die Grundfunktionen als Copyright-kompatibel zu verteidigen. Die Suchmaschinenanbieter haben dabei erklärt, dass Webmaster ja die Möglichkeit hätten, nicht in den Index aufgenommen zu werden, indem sie eine Roboter-basierte Ausschlussanweisung erteilen, etwa mit robots.txt; falls das nicht geschehe, liege eine implizite Einverständniserklärung vor, dass das online publizierte Material in den Index aufgenommen werden könne.33

Das Green Paper ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die ambivalente Haltung der europäischen Gesetzgebung. Auf der einen Seite wird das Internet als lebenswichtig für die Informationsgesellschaft gepriesen. Auf der anderen hält man sich den neuen Akteuren gegenüber, die entstanden sind, um diese Umgebung nutzbar zu machen, auf Distanz. Ein Grund für diese Ambivalenz mag in den zunehmend konfliktgeladenen Beziehungen zwischen herkömmlichen Verlagen und den Suchmaschinen in Europa liegen. Online-Verlage kämpfen noch damit, sich nachhaltig im Web zu etablieren. Sie müssen Material frei zur Verfügung stellen, um ihr Publikum zu erreichen, ein Großteil der Werbeeinnahmen geht jedoch an andere.34 Eine andere Erklärung dieser relativ kühlen Haltung gegenüber Suchmaschinen mag in der auffallenden Online-Dominanz von US-Firmen liegen, insbesondere jener Googles.

Die Vorherrschaft von Google in Europa

Der Marktanteil von Google ist, an den Suchanfragen gemessen, bei rund 80 Prozent und nimmt weiter zu.35 Diese Dominanz macht die Art, wie Google durch die europäischen Gewässer navigiert, besonders interessant. Eine Webseite, die von Google entfernt wird, hört praktisch auf zu existieren, und andere Suchmaschinen werden versucht sein, dem Beispiel Googles zu folgen. Vor allem aber wird dadurch die Frage berührt, ob Gesetzgebung und Politik in Europa genug unternehmen, um die Entwicklung von wirksamen Suchwerkzeugen und -diensten voranzutreiben, sowie den Wettbewerb unter den Suchmaschinen zu fördern.

Das öffentlich finanzierte Quaero-Projekt, das von Frankreich und Deutschland 2006 gestartet wurde, galt vielfach als die europäische Antwort auf Google.36 Das Projekt wurde bald in Quaero (Frankreich) und Theseus (Deutschland) geteilt. Sowohl Quaero als auch Theseus versuchen, die europäische Forschung und Entwicklung im Bereich Suchmaschinen zu fördern, sie haben jedoch noch nicht zu einer nennenswerten Basis für Verbraucher-Suchdienste geführt. Insbesondere ist der Schutz der Ausdrucks- und Informationsfreiheit in keinem der beiden Projekte als Ziel definiert.

Anstatt eine Branche zu fördern, die sich auch ohne öffentliche Gelder unglaublich rasch entwickelt, könnten die europäischen Gesetzgeber den Suchmaschinenmarkt stärken, indem sie Gesetze und Politiken umsetzen, die den Markteintritt neuer Bewerber erleichtern. Die gesetzliche Unsicherheit bezüglich Haftungsfragen und der Grundfunktionen von Suchmaschinen stellt eine zusätzliche Barriere für den Eintritt in den europäischen Suchmaschinenmarkt dar. Da diese Ungewissheit beträchtliche Rechtskosten nach sich zieht, sind große, etablierte Anbieter wie Google am besten in der Lage, dem rechtlichen Druck zu begegnen, ob sich dieser nun in Form von Beschwerden, Rechtsverfahren oder behördlichen Eingriffen äußert. Je restriktiver die Pflichten sind, die Suchmaschinenanbietern auferlegt werden, um mit Regierungen zu verhandeln, einen Interessenausgleich mit Verlagen zu finden und mit Beschwerden von Drittparteien umzugehen, umso schwieriger wird es für kleinere Provider, einen derartigen Dienst anzubieten. Dass Google – mit Hilfe einer kleinen Armee von Rechtsanwälten – überhaupt in der Lage war, seine Dienste in Europa aufrecht zu erhalten, mag durchaus als beachtliche Leistung betrachtet werden.

Es gibt einen Bedarf und auch genug Platz für mehr als eine Universal-Suchmaschine. Die europäische Gesetzgebung und Politik sollten also über die vorherrschende Position von Google hinaus blicken. Die Dominanz von Google und seine zentrale Position in den laufenden Rechtsdebatten über die Verantwortlichkeit von Suchmaschinen und die Legalität ihrer Grundfunktionen könnte diese Vorherrschaft weiter verstärken, besonders falls die Gesetzgeber und Regulierungsbehörden Suchmaschinenanbietern in Europa weitere rechtliche Verpflichtungen auferlegen, die für kleine Anbieter schwieriger zu erfüllen sind.

Freier Zugang zu Information

Wenn wir von der Suchfreiheit für Nutzer sprechen, dann ist es abschließend auch wichtig, über die ungeheuren Mengen an Nutzerdaten nachzudenken, die von Suchmaschinen generiert werden, und über die Nutzung dieser Daten durch die Suchmaschinen und Drittparteien. Über systematische Nutzerüberwachung wird seit der Veröffentlichung der AOL-Daten viel diskutiert.37 Internationale Datenschutzorganisationen, insbesondere die EU-Datenschutzgruppe „Artikel 29“, haben mit Empfehlungen reagiert, welche die Nutzung von Nutzerdaten durch Suchmaschinen zu minimieren trachten.38

Im Mittelpunkt der Debatte stand dabei die Speicherzeit für Suchmaschinen- Logfiles, in denen die IP-Adresse der Nutzer, Cookie-Daten, Suchanfragen, Zeitstempel und Klickverhalten gespeichert sind. Dabei gilt es zu beachten, dass selbst dann, wenn die Speicherdauer für Suchmaschinen-Logs auf die empfohlenen drei bis sechs Monate beschränkt würde, die Nutzer immer noch unter systematischer Überwachung stünden, wenn sie die wichtigsten Tools zur Navigation des Web verwenden. Da eine Websuche für viele eine tägliche Tätigkeit ist, zeichnen die Such-Logs im Zeitraum von drei bis sechs Monaten ein unglaublich detailliertes Bild der Interessen, Tätigkeiten und Absichten des betreffenden Internetnutzers. Wenn es nicht machbar ist, die Suchmaschinenanbieter zu einer Minimierung der Nutzerüberwachung zu bringen, dann sollte das Gesetz die Vertraulichkeit der Suchaktivität durch andere Mittel gewährleisten.

Der Schutz der Privatsphäre im Zusammenhang mit Suchmaschinen ist in erster Linie eine Frage, die mit dem freien Zugang zu Information für die Nutzer verknüpft ist. Um die Vertraulichkeit der privaten Kommunikation zu sichern und die Kommunikationsfreiheit zu schützen, sehen die Fernmeldegesetze besondere Einschränkungen des Zugriffs auf private Mitteilungen durch die Anbieter und Drittparteien vor. Die Regeln, die für den Zugang zu Postsendungen und für das Abhören von Telekom-Einrichtungen gelten, mögen dafür ein Beispiel sein. Auch Bibliotheken legen großen Wert auf den Schutz ihrer Kunden, um den freien Zugang zu Information und Ideen zu schützen. In Wirklichkeit verdrängt die Nutzung von Suchmaschinen zum Teil das Blättern in Bibliothekskatalogen und kann eine ähnlich private Qualität haben wie telefonische oder briefliche Mitteilungen. Möglicherweise richten Menschen „Fragen“ an Suchmaschinen, die sie Kollegen, Partnern oder Freunden nicht stellen würden. Die Gesetze, die die Suchüberwachung und den Zugriff auf Suchmaschinen-Logs durch Drittparteien regeln, müssen noch an diese Realität angepasst werden.

Im Idealfall würden Gesetze und Politik das Sammeln von Nutzerdaten durch Suchmaschinen nicht nur minimieren, sondern auch den Zugang zu Suchmaschinen-Logs streng beschränken und ein Minimum an Transparenz bei Zugriffen durch Drittparteien herstellen. Ohne solche Beschränkungen werden Regierungsbehörden und andere Drittparteien sich weiterhin um den Zugang zu diesen enorm aussagekräftigen Datensammlungen bemühen, in denen sich die Interessen, Absichten und Online-Präferenzen von Nutzern spiegeln. In der Zwischenzeit leistet Google regelmäßig gerichtlichen Aufforderungen zur Herausgabe von Nutzerdaten Folge, während es Unternehmenspolitik ist, darüber grundsätzlich keine Auskünfte zu erteilen.39

Schluss

Suchmaschinen gehören zu den wichtigsten Diensten im Internet und sind für die Navigation des Web unverzichtbar. Sie sind ein unabdinglicher Bestandteil des Versprechens einer Demokratisierung des Informationszugangs durch das Internet. Gesetze und Politik zu Suchmaschinen sollten diesem Umstand Rechnung tragen, indem sie die Ausdrucksfreiheit in den Mittelpunkt von rechtlichen und politischen Entscheidungen über Web-Suchmaschinen rücken. Leider sind die europäischen Gesetzgeber nicht auf dem letzten Stand, wenn es um eine solche Förderung der Suchmaschinenlandschaft geht. Insbesondere haben sie es verabsäumt, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der es Suchmaschinen ermöglichen würde, ihre Dienste in einer Weise anzubieten, die der Ausdrucksfreiheit Rechnung trägt. Die reale Möglichkeit für Nutzer, wertvolle Informationen online zu finden, ohne unberechtigten Eingriffen ausgeliefert zu sein, die Möglichkeit von Online-Quellen, ihr Publikum zu erreichen, und die Möglichkeit, Suchdienste anzubieten sowie Information zu finden, auszuwählen und zu bewerten, werden in einer Weise beschränkt, die aus der Sicht der Ausdrucksfreiheit suboptimal ist. Daher bestehen die derzeitigen Möglichkeiten des Informationszugangs trotz des Gesetzes und nicht als dessen Folge. Wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die Ausdrucksfreiheit einer der wichtigsten Werte ist, auf denen Internet-Gesetze und -Politiken aufbauen, dann verlangt diese Situation nach einer Veränderung.



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